Das Date
Wenn ich ein hasse, dann sind das Jogger, die mich am frühen Morgen um 10.00 Uhr, also gleich nach Mitternacht, anquatschen.
Wenn ich noch etwas hasse, dann ist das Joggen überhaupt.
Mein Bruder trägt leider ständig den Slogan auf den Lippen, dass es nicht Besseres und Gesünderes als Joggen am Morgen gäbe. Mein Bruder hat einen Knall, er trainiert für den Iron-Mann, ich nicht! Aber er versucht mich ständig davon zu überzeugen, dass mir Laufen auch gut bekommen würde. Er ist mein großer Bruder und wenn uns bei unserer Geburt auch nur fünfzehn Minuten trennten, er ist nun einmal älter und manchmal glaube ich ihm.
Meine Waage überzeugt mich leider auch nicht vom Gegenteil, also laufen ich, wenn auch missmutig, und das jeden zweiten Tag.
Heute war meine ohnehin schon mittelprächtige Laune besonders beeinträchtigt. Heute war der 30.07. und meine Wette mit meiner Mitbewohnerin Amy lief ab. Das gesamte Wochenende würde ich unsere WG putzen, Fenster durch sichtbar machen, Küchenschränke aufräumen, Großeinkauf erledigen, Keller sortieren. Mist! Mist! Mist! Es war mir nicht gelungen, im letzten Monat auch nur ein Date auszumachen und damit hatte ich die Wette verloren.
Amy nervt mich ständig mit dem Männer-Thema. Sie meint, ich würde als alte Jungfer sterben. Wenn die wüsste! Als Jungfer würde ich nicht sterben, aber mit dem Männer-Thema hatte sie schon irgendwie recht. Was sollte ich denn machen, hier auf O‘ahu waren alle Männer im heiratsfähigen Alter vergeben, unsichtbar, von Mama behütet oder alt. Ich lebe jetzt schon ein Jahr hier aber mehr wie ein fröhliches „Hallo!“ vom Nachbarn, der leider schon 87 ist, hatte ich bisher fast nicht erlebt.
Verschwitzt drehte ich meine Runden, genervt von Amy, dem kommenden Wochenende und auch von mir. Und genau jetzt quatscht er mich an.
„He, das ist das falsche Tempo und Deine Schuhe sind auch nicht ideal!“ Fröhlich und aufrecht läuft er neben mir her. Natürlich macht ihm die Lauferei nichts aus, so entspannt wie er sich gibt. Schweiß kann ich auch nirgendwo entdecken. Klasse! Den habe ich gebraucht.
„Dir auch einen schönen guten Morgen! Und tschüss, da vorn gibt’s einen Pokal für Streber!“, knurrte ich schnaufend, in der Hoffnung, er würde mich nicht als Opfer seiner Fröhlichkeit auswählen.
Genau das hatte er aber wohl vor.
„Ok, also noch mal von vorn, sorry! Wenn du in diesem Tempo läufst, ist deine Herzfrequenz zu hoch und das macht die Lauferei sinnlos. Und Deine Schuhe haben eine ungünstige Sohle, damit belastest du bei langen Strecken deine Gelenke.“
Na super, hat der Ahnung von meiner Herzfrequenz? Wenn ich an das kommende Wochenende denke, ist mein Puls sowieso auf 180. Und meine Gelenkigkeit könnte ich ihm ja mal zeigen, wenn ich … Na gut, keine jugendfreien Gedanken am frühen Morgen!
Unauffällig versucht ich ihn zu mustern. Naja! Die Stimme war ganz gut, sie legte sich schmeichelnd auf meine Nervenzellenenden. Tief, männlich und sicher. Was meine Augen wahrnahmen, war leider nicht der Hit. Er trägt einen merkwürdigen Laufanzug in grellen Farben, diese blöden modernen Muskel-Massage-Kniestrümpfe, die der neuste Schrei sind. Ein Cap verdeckt seine Augen, der Rest ist Drei-Vier-Fünf-Tagebart. Wer weiß das schon so genau.
Schade, konnte mich nicht irgendeine Sahneschnitte belehren, wenn es schon unbedingt sein musste? Hier in Honolulu lebten doch einige Schauspieler. Dieser Alex O’Loughlin zum Beispiel. Von dem würde ich mich gern mal beraten lassen, nicht nur in Sachen Sportbekleidung.
Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass auch er mich musterte. Im Gegenzug zu mir, schien er durchaus zufrieden zu sein, mit dem was er sah, denn sein Mund verzog sich zu einem breiten Lächeln. Hatte der die gute Laune gepachtet? Bei der Agentur müsste ich mich auch mal melden.
„Läufst du hier oft? Ich habe dich noch nie getroffen und du wärst mit ganz bestimmt aufgefallen?“, plauderte er munter weiter.
Oh man, sieht der Kerl denn nicht, dass ich völlig fertig bin und schon um Fassung ringe?
„Nein, ich laufe heute zum ersten Mal, sonst fahre ich hier immer mit dem Auto meine Runden“, bellte ich zurück.
Vorerst schien er aufzugeben, er lief zwar immer noch grinsend neben mir her, aber er stellte mit keine Fragen mehr.
Ungefähr fünf Minuten lief er in meinem Schatten. Einerseits nervte er mich, da er so dreist an meiner Seite blieb, andererseits war ich stolz, dass ich immer noch durchhielt. Mein ach so cooler Bruder hätte längst das Weite gesucht.
Leider blieb mir die Ruhe nicht lange vergönnt. „Ich will ja nicht schon wieder damit anfangen, aber sagst du mir, wo du deine Schuhe gekauft hast?“
Lief da etwa ein Schuhvertreter neben mir her?
„Den Laden müsste man verklagen, es grenzt an Körperverletzung, mit diesen Schuhen rumzulaufen.“
Ja genau, meine Schuhe sind Schrott, meine Herzfrequenz zu hoch, meine Kleidung wahrscheinlich lebensgefährlich und ich muss nicht lange raten, er kann mir sicher perfekt bei all meinen Problemen helfen.
„Das gleiche trifft übrigens für Deine Bekleidung zu. In Deinem Shirt staut sich die Wärme und es ist kein Luft-und Flüssigkeits-Austausch möglich.“
Ich glaube das alles nicht. Wo ist die versteckte Kamera? Steckt etwa Amy dahinter? Luft-und Flüssigkeits-Austausch! Hat er das jetzt wirklich gerade so gesagt?
„Ich will dir ja nicht zu nahe treten, aber ich bin weder gesunheitsgefährdet noch lebensmüde, ich wollte nur ein paar Runden hier in Ruhe laufen.“ Etwas lauter und energischer setzte ich noch hinzu. „Allein!“
Leider ist mein Schatten entweder taub oder dreist, er denkt überhaupt nicht daran, meine Fährte zu verlassen. Aufrecht und immer noch nicht schwitzend, wie ich bemerke, läuft er weiterhin neben mir her.
Gut, dann muss ich wohl zu anderen Mitteln greifen. Obwohl es weder mein Puls noch meine Kondition zulassen, beginne ich grinsend einen Spurt. Ich laufe und laufe und entferne mich tatsächlich von meiner ungewollten Begleitung. So unauffällig wie möglich drehe ich mich etwas um, neugierig wie ich bin, will ich ja sehen, ob diese kräftezehrende Aktion von Erfolg gekrönt ist.
Warum auch immer, etwas enttäuscht stelle ich fest, dass von ihm nichts mehr zu sehen ist. Der Paradiesvogel hat sich wohl doch verflogen. Auch gut!
Entspannt laufe ich weiter, ertappe mich aber immer wieder, wie ich mich dezent umschaue.
Vielleicht hätte ich ihn ja doch fragen sollen, wie das mit den Schuhsohlen gemeint war. Und dass ich immer so schwitze, hat vielleicht seinen Grund in der Wahl meiner Sportbekleidung?
So oder so, er war nicht mehr da, aber ich würde mich demnächst beraten lassen und vielleicht doch etwas Geld für eine vernünftige Ausrüstung ausgeben.
Zwei Runden würde ich noch durchhalten. Durch den eingelegten Spurt war ich eigentlich am Ende meiner Kräfte, aber ich wollte nicht vor meinem selbstgesteckten Ziel aufgeben. Meine Begegnung mit der dritten Art hatte ich inzwischen zu den Akten gelegt.
Fehler! Ich traf ihn schneller wieder, als mir lieb war. Er lief, zu meinem Missfallen immer noch locker und entspannt auf einem Seitenweg in meine Richtung auf mich zu. Jetzt hatte er auch noch ein Handy am Ohr, in das er ziemlich lautstark und ungehalten meckerte. Bemerkt hatte er mich noch nicht, offensichtlich war er mit seinen Gedanken wohl gerade nicht auf der Laufstrecke. Amüsiert schaute ich ihm entgegen, was schon wieder ein Fehler war. Kurz bevor der Paradiesvogel meinen Weg kreuzte, kreuzte ein kleiner Mülleimer meinen und beendete damit spontan meinen Lauf.
Ich flog, wenig elegant auf meinen Hintern und von da aus in die Waagerechte. Er flog wesentlich sportlicher, aber auch nicht gerade bühnenreif halb auf mich drauf. Sein Handy befand sich im freien Flug und steuerte auf einen Bach zu, in dem es kurz darauf mit einem leisen Plopp für immer verschwand. Wir beide schauten einen kurzen Moment den Bläschen zu, die das tauchende Handy erzeugte.
„Das ist bereits mein drittes Telefon, das ich in diesem Monat verschrotte. Aber es ist das erste Mal seit langem, dass ich so gut liege.“ Scheinbar gingen Mister Drei-Tage-Bart die Sprüche nie aus.
„Ok, ich erwarte eine Verkaufsberatung für Liegemöglichkeiten, aber vorher würde ich doch gern aufstehen“, konterte ich geistesgegenwärtig.
Jede Begegnung die unsere Seele berührt, hinterlässt in uns eine Spur, die niemals verweht.